№ 21: ORGANISIERTER PROTEST
[responsive] [/responsive]
Der 21. Dezember 2011 hätte als ein studentischer Jubeltag in die Geschichtsbücher eingehen können. Damals wurde das von der grün-roten Koalition eingebrachte „Gesetz zur Abschaffung und Kompensation der Studiengebühren und zur Änderung anderer Gesetze“ (StuGebAbschG) vom baden-württembergischen Landtag verabschiedet. Die Studiengebühren, die zum Sommersemester 2007 eingeführt worden waren und den Studierenden 500 Euro pro Semester abknöpften, wurden zum Sommersemester 2012 wieder abgeschafft. Der bundesweite Bildungsstreik 2009, in dessen Zuge in Heidelberg sogar das Rektorat besetzt und geräumt worden war, hatte also zumindest teilweise Wirkung gezeigt. Wie es die Heidelberger Landtagsabgeordnete Theresia Bauer so schön ausgedrückt hatte: „Studiengebühren sind ein sozial ungerechtes, unwirksames, bürokratisch aufgeblasenes Finanzierungsmodell aus dem letzten Jahrhundert. Nur juristisch scheint es unangreifbar zu sein, politisch ist es megaout.“
Doch wie sich zeigte, war dieses Glück nur von kurzer Dauer. Im Oktober 2016 wurde publik, dass ausgerechnet Theresia Bauer – in der Zwischenzeit zur Wissenschaftsministerin aufgestiegen – die Wiedereinführung der Campusmaut plante, wenn auch erstmal „nur“ für internationale Studierende (in Höhe von 1500 Euro pro Semester) und Zweitstudierende (in Höhe von 650 Euro pro Semester).
Sofort regte sich auch vor ihrer eigenen Haustür Widerstand: zunächst mit einer ersten Kundgebung am 12. November, dann mit einer Großdemo am 21. Dezember (also dem vermeintlichen Jahrestag der Abschaffung aller Studiengebühren). Nach dem Jahreswechsel nahm die Schlagzahl der Proteste sogar noch zu: Am 13. Januar reisten Heidelberger Studierende eigens in die Landeshauptstadt, um an einer Kundgebung unmittelbar vor dem Wissenschaftsministerium teilzunehmen, die von Stuttgarter Studierenden organisiert worden war. Am 24. Januar kam es in Heidelberg zu einem (fruchtlosen) verbalen Austausch mit Theresia Bauer, gefolgt von einer Sponti am 26. Januar, gefolgt von einem weiteren (erfolglosen) Ausspracheversuch am 8. März. Am 29. April fand dann – im Zuge landesweiter Protestaktionen – auch in Heidelberg noch eine letzte Demonstration statt, bevor am 3. Mai die entscheidende Abstimmung im Landtag anstand.
Treibende Kraft hinter all diesen Aktionen: die Verfasste Studierendenschaft. Wir hatten den Protest auf die Straße getragen, das Gespräch mit den Entscheidungsträger*innen gesucht und vor den absehbaren Folgen dieser Maßnahme gewarnt. Leider vergeblich.
Was jahrelang von den Studierenden erkämpft und am 21. Dezember 2011 von grün-rot in geltendes Recht überführt worden war, wurde am 3. Mai 2017 von grün-schwarz wieder zunichte gemacht. Die Studiengebühren sind jetzt wieder da, und die von uns prognostizierten Konsequenzen leider auch. Es ist genau so, wie Theresia Bauer einst selbst gesagt hatte: „Wenn Studiengebühren nicht verboten sind, heißt das noch lange nicht, dass sie gut sind – im Gegenteil. Studiengebühren haben bisher kaum Verbesserungen bei der Lehre gebracht, weil dazu mehr gehört als mehr Geld ins System zu pumpen. Und selbst dieses Versprechen wird oftmals nicht erfüllt.“
Fürs Erste haben wir den Kampf also verloren. Die Ministerin denkt gar nicht daran, ihren Fehler zu korrigieren. In der Zwischenzeit können wir daher lediglich den laufenden Klagen gegen die Studiengebühren die Daumen drücken und internationale Studienanfänger*innen auf die Möglichkeiten zur Gebührenbefreiung hinweisen, um den sozialen Schaden möglichst gering zu halten. Zumal es ratsam erscheint, sich den 21. Dezember 2021 – einen Dienstag – schon einmal freizuhalten und für das Schlimmste zu wappnen. Die bestehenden Hochschulfinanzierungsabkommen von Bund und Ländern laufen schließlich 2020, der grün-schwarze Koalitionsvertrag 2021 aus. Ist das Hochschulwesen danach ähnlich unterfinanziert wie bisher (wovon auszugehen ist) und die Landesregierung nicht länger an ihr Versprechen „Wir führen keine allgemeinen Studiengebühren ein“ gebunden, scheint der endgültige Rückfall in das sozial ungerechte, unwirksame, bürokratisch aufgeblasene Finanzierungsmodell aus dem letzten Jahrhundert eigentlich nur noch eine Frage der Zeit zu sein.
Wobei das Thema Studiengebühren leider nicht unsere einzige Sorge ist, auch wenn es fraglos eine besonders prominente Rolle spielt. Es gibt vieles in Hochschule und Gesellschaft, was sich einfach nicht verbessert oder sogar in eine falsche Richtung entwickelt. Die Verfasste Studierendenschaft tut dagegen, was sie kann.
Das Landeshochschulgesetz wird novelliert, die Studierenden werden ignoriert? Wir sorgen dafür, dass Postkarten mit zentralen studentischen Forderungen die Postfächer der Abgeordneten überfluten. Das Leben in Heidelberg wird zunehmend unbezahlbar? Das Wohnraumbündnis zeltet auf dem Universitätsplatz und setzt so ein Zeichen gegen die Wohnungsnot. Das Studierendenwerk beutet seine studentischen Mitarbeiter*innen aus? Wir machen das Unrecht sichtbar, wecken das Interesse der Öffentlichkeit, organisieren kreativen Protest und lassen bis zuletzt nicht locker – und das alles stets im Schulterschluss von Referent*innen, Hochschulgruppen, Fachschaften und einfachen Studierenden, die allesamt in der organisationellen Vielfalt der Verfassten Studierendenschaft zusammenfinden und sich gemeinschaftlich für das gleiche Ziel einsetzen.
Kurzum: Die Verfasste Studierendenschaft verbindet Studierende, bringt den Protest auf die Straße, wagt den lautstarken und öffentlichen Widerspruch – und hat manchmal sogar Erfolg dabei (auch wenn die Chancen fast immer gegen sie stehen).
Wenn auch ihr gegen einen Missstand mobilisieren wollt, der studentische Interessen mittel- oder unmittelbar betrifft, seid ihr bei der Verfassten Studierendenschaft bestens aufgehoben.
Einerseits besteht die Möglichkeit, vom Studierendenrat (ideell wie finanziell) unterstützt zu werden. Dadurch erreicht ihr zugleich ein größeres Publikum und gewinnt schnell Mitstreiter*innen.
Andererseits erhaltet ihr dadurch Zugriff auf unsere hilfreiche Infrastruktur. Im Ausleihsortiment finden sich u.a. Boxen und Megaphone, über unsere Kanäle mobilisiert ihr die Fachschaften, und das StuRa-Büro eignet sich ohnehin hervorragend dazu, um sich zum gemeinsamen Basteln von Plakaten und Transparenten zu treffen. Mit etwas Glück sind ohnehin noch irgendwelche Farben, Stoffe und andere Materialien von einer vergangenen Demo übrig, die ihr für eure Aktion nutzen könnt.
Zumal wir euch natürlich auch mit unserem Know-how und unseren Kontakten gerne weiterhelfen. Wie man eine Demo anmeldet, was es juristisch zu beachten gilt, welche politischen und gesellschaftlichen Akteur*innen auf eurer Seite stehen könnten, wie man Kontakt zu den Medien herstellt, wie man sonst noch für Öffentlichkeit sorgen kann – fragt einfach nach, vermeidet unsere Fehler, lernt aus unseren Erfahrungen! Gerade das PoBi-Referat ist in Sachen Protestformen auf dem neuesten Stand und hilft euch gerne weiter.
(Und falls ihr das gedruckte Wort bevorzugt: In unserer Bibliothek finden sich z.B. das „Handbuch der Kommunikationsguerilla“ oder der „Rechtsratgeber für die politische Praxis“ und geben euch ebenfalls hilfreiche Tipps und Anregungen.)