Ein Sammelband geht eingeschliffenen Praktiken der Diskriminierung und politisch prekarisierenden Rahmenbedingungen auf den Grund.
Obwohl es in den 70er Jahren im Zuge der Bildungsexpansion zu einer kurzen Phase der Öffnung kam, erweist sich die Universität gegenüber dem Anspruch auf Öffnung der Hochschule als starr bis resistent. Wie empirische Befunde zeigen, ist beim Hochschulzugang und bei den Berufswegen an der Hochschule nach wie vor mit Benachteiligungen und institutionellen Diskriminierungen verschiedener Gruppen zu rechnen. Wie institutionelle Voraussetzungen Öffnungsmöglichkeiten blockieren, wie eingeschliffene Handlungsroutinen oder scheinbar „neutrale“ Regelungen bestimmte Gruppen benachteiligen und unter welchen politischen Rahmenbedingungen der Ausbau der Hochschule blockiert wird, wären daher nur einige Fragen, denen es nachzugehen gilt. Eine Reihe von Beiträgen hat dazu nun der neue Band der Reihe „Hochschule gestalten“ als „Denkanstöße zum Spannungsfeld von Unterschieden und Ungleichheit“ vorgelegt.
Aus Sicht des Referats für Studienreform und hochschulpolitische Entwicklung besonders interessant sind zum einen das den Aufsätzen vorangestellte Gespräch, mit dem die HerausgeberInnen auch diesmal wieder ein Zeitdokument zur hochschulpolitischen Landschaft aufgezeichnet haben. Mit Christa Cremer-Renz und Johannes Geffers, die einen sehr unterschiedlichen Weg in die Hochschule genommen haben (einmal direkt durch und einmal auf zweitem Bildungsweg bis zur Unipräsidentin), wird ein Blick auf hochschulpolitisches Engagement geworfen. Im Gespräch kommen sie sowohl auf ihre unterschiedlichen Wege in der Hochschule zu sprechen wie auf die studentischen Proteste. In Bezug auf Ungleichheit und Hochschule zieht Geffers trefflich Resumee:
„Mit Blick auf die soziale Gerechtigkeit und Teilhabe hatte ich dabei vielfach den Eindruck, dass man noch ganz viel über die Ungerechtigkeiten auf dem Weg zur und in der Hochschule forschen kann, aber man kann auch sagen, dass die Ungleichheit im Kern kein Erkenntnisproblem ist, sondern dass es beharrliche kulturelle und institutionelle Widerstände gibt, die eine Öffnung der Hochschule behindern.“ (21)
Daran unmittelbar anknüpfend lohnt sich die Lektüre des Aufsatzes „Bildungsungleichheit – zur organisationalen (Re-)Produktion eines sozialen Problems“ von Heike Kahlert. Sie knüpft an Bourdieus Habitus-Konzept und Überlegungen zu Prozessen des „Cooling-Out“ an, geht anschließend auf das Konzept „institutioneller Diskriminierung“ (Gomolla/Radtke) und den organisationssoziologischen Ansatz von Joan Acker ein und plädiert für einen analytischen Zugriff, der verschiedene Dimensionen verknüpft und dabei die institutionellen Rahmenbedingungen in den Blick nimmt, ohne die Individuen als handelnde Subjekte darüber aus den Augen zu verlieren.
Für die Auseinandersetzung speziell um Gleichstellung empfehlen sich ferner der Beitrag von Sandra Smykalla und der von Frauke Gützkow. Smykalla skizziert Entwicklungen im Gleichstellungsdiskurs und die tatsächliche Gleichstellungssituation an den Hochschulen. Sie macht hierbei einen Widerspruch zwischen „diskursiven Bekenntnissen“ und Organisationsrealität aus und hat die Einbettung von Antidiskriminierungspolitiken in Prinzipien des Management und Wettbewerbs im Blick. Für eine (progressive) Politik, die handlungsfähig sein möchte, bedeutet dies der Autorin zufolge nun aber nicht, dass sie sich ausklinken sollte, sondern dass sie sich überlegen muss, wie sie in diesem Rahmen handlungsfähig werden kann und dabei notwendig mit „paradoxem Handeln“ gerechnet werden muss (57).
Frauke Gützkow zeigt auf, wie ein Verständnis von „Wissenschaft als Lebensform“, das sich als neutrale Arbeitsform und hehres Ideal gibt, zu geschlechterspezifischen Benachteiligungen wie zur Prekarisierung aller Beteiligten führt und nimmt vor diesem Hintergrund gewerkschaftliche Diskussionen um „Work-Life-Balance“ als produktives Programm auf. Sie greift diese nicht zum Zweck auf, mit mehr Balance eine reibungsfreiere Arbeit zu ermöglichen, sondern mit dem erklärten Ziel „Eine Humanisierung der Universität als Arbeitsplatz und der sozialen Organisationsform der Wissenschaft durch eine lebensweltliche Orientierung und die Abkehr von dem ausgrenzenden Konzept der ‚Wissenschaft als Lebensform’“ (113) zu ermöglichen.
Soweit ein erster kurzer Blick in das Buch. Es ist 2013 im Universitätsverlag Webler erschienen, kann im Zentralen Fachschaftenbüro eingesehen werden und bietet weitere interessante Beiträge – etwa zum Hochschulzugang nicht-traditioneller Studierender, dem Umgang mit steigender Heterogenität in der Lehre oder der Hochschulpersonalstruktur und deren Folgen für die Hochschulbeschäftigten.
Frauke Gützkow/Gunter Quaißer (Hg.): Hochschule gestalten. Denkanstöße zum Spannungsfeld von Unterschieden und Ungleichheit, Bielefeld 2013