Das Jahr 2020 geht. Zwei Probleme bleiben.

Es hat nun wirklich lange genug gedauert, doch morgen ist es endlich so weit: Das Jahr 2020 geht zu Ende. Bevor wir allerdings – in Form unseres traditionellen Jahresendberichts – auf die schöneren Momente des Jahres und die vielfältigen Aktivitäten der Verfassten Studierendenschaft zurückblicken, möchten wir auf zwei gravierende Missstände aufmerksam machen. Beide haben das Zeug zum nachweihnachtlichen Stimmungskiller, sind aber zu wichtig, um nicht noch einmal in aller Deutlichkeit thematisiert zu werden. (Und hey: Wie wir Studierenden in Sachen Corona-Hilfen geschröpft wurden, lassen wir dabei sogar noch unadressiert.)

Missstand Nr. 01: Sexualisierte Gewalt an unserer Universität. Vier Studierende haben mittels einer Umfrage mit immerhin knapp 150 Teilnehmer*innen versucht, Licht ins Dunkel zu bringen. Alarmiert durch einen Vorfall in der jüngeren Vergangenheit, und vor allem: „because we felt the need for action rather than words“, wie sie in ihrer Studie schreiben. Gerade die zugehörige Podcastfolge, in der sie rund 40 Minuten lang über ihre Studie, den Status Quo an unserer Universität und mögliche Lösungsansätze reflektieren, ist ausgesprochen hörenswert.

Diese Hör- und Leseempfehlung geht jedoch mit einer Trigger-Warnung einher. Insbesondere, was die zitierten individuellen Erfahrungsberichte angeht. So viel sei zu den Befunden der Studie aber gesagt: Wer danach noch glaubt, wir hätten an der Universität Heidelberg keinerlei Probleme mit sexualisierter Gewalt und speziell unter uns Studierenden sei alles in bester Ordnung, hat den Schuss nicht gehört.
https://sexualharassmentuniheidelberg.wordpress.com/podcast/
https://sexualharassmentuniheidelberg.files.wordpress.com/2020/10/report-of-survey-on-sexual-harassment-and-assault.pdf

Missstand Nr. 02: die Burschenschaft Normannia. Seit Anfang September publik wurde, dass es in ihrem Verbindungshaus – der Villa Stückgarten – zu einem antisemitisch motiverten Übergriff auf einen Studierenden kam, steht die Burschenschaft gehörig unter Druck. Vieles von dem, was seit längerem geahnt oder insgeheim sogar gewusst wurde, geriet nun in das volle Bewusstsein der Öffentlichkeit: Wehrmachtskluft. Antisemitische Parolen. Nazimusik. Rechtsradikale, die in dem Haus ein- und ausgingen (wenn sie nicht sowieso dort wohnten).

Zugegeben: Zwischenzeitlich sah es so aus, als täte sich was. Mitglieder der Altherrenschaft sahen sich gezwungen, sich öffentlich von der Normannia zu distanzieren. Einem Mannheimer Manager, der besonders dümmlich mit Hitlergruß und Stahlhelm posierte, wurde sogar fristlos gekündigt. Und: Gegen immerhin zehn Beschuldigte wird wegen des „Verdachts der gemeinschaftlich begangenen gefährlichen Körperverletzung und Beleidigung“ ermittelt.

Aber: Verboten oder zerschlagen wurde die Normannia noch immer nicht. Nachdem sie zunächst die „Aufrichtiger-Neuanfang-Karte“ spielen und anhand von sechs Leitlinien in eine völlig FDGO-konforme und extremismusfreie Zukunft durchstarten wollte (und das sogar ausdrücklich im Bewusstsein der „Verbrechen des Nationalsozialismus“ und der „daraus resultierenden besonderen Verantwortung Deutschlands für die Opfer“, wie man beteuerte), ist die Burschenschaft seit einigen Wochen auf Tauchstation gegangen. Wer noch alles dazu gehört, wer gerade das Sagen hat und was aus der Villa Stückgarten wird (respektive: wann eine neue Aktivitas geködert werden soll), ist derzeit unklar. Was beunruhigend und entmutigend zugleich ist. Aber das ist eben 2020: Selbst das, was offenkundig weg muss, ist einfach nicht wegzukriegen…
https://test.stura.uni-heidelberg.de/2020/12/29/pressespiegel-und-hintergrundinformationen-zu-aktuellen-antisemitischen-vorfaellen/

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